Malerei und Grafik
Artworks
Information
Zum Saisonstart 2018 zeigt die Galerie PPC Philipp Pflug Contemporary Arbeiten des Malers und Grafikers Ulrich Knispel. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Zeit von 1968–1977. Eine Phase, die stilistisch an seine fluchtartige Übersiedlung nach Westberlin anschließt und die Verschiebung von einem am Expressionismus orientierten Stil hin zum Surrealismus markiert. Die von der Technik dominierte Realität Westberlins beflügelte seine Phantasie, wodurch eine Ironisierung der neuen Gegebenheit einer technisch beherrschenden Welt zum Erkennungszeichen seiner Bilder wurde. Diese werden von den zwei Grundelementen Landschaft und Technik – im erweiterten Sinne - getragen. Jedoch offenbart Knispel alles andere als Naturidylle. Er schafft menschenlose, absurd inszenierte Bühnen mit einer beängstigenden Fülle von Objektfragmenten wie Nudeln, Tasten einer Registrierkasse, Knöpfe mit Zahlen und aus Apparaten herausgebrochene Einzelteile, die sich in ihrem überdimensionierten Maßstab dem Betrachter entgegendrängen. Der Verfremdungseffekt führt den Betrachter in eine Welt poetischer Zwecklosigkeit, welche die Überbleibsel einer Wegwerfgesellschaft in Form einer Kunstlandschaft reflektiert.
Ironie einer technischen Welt im Werk von Ulrich Knispel
„Ich glaube, dass die meisten Menschen zu Zeiten ihres Lebens Phantasien bilden. [...] Die Produkte dieser phantasierenden Tätigkeit, die einzelnen Phantasien [...] dürfen wir uns nicht starr und unverändert vorstellen. Sie schmiegen sich vielmehr den wechselnden Lebenseindrücken an, verändern sich mit jeder Schwankung der Lebenslage, empfangen von jedem wirksamen neuen Eindruck eine sogenannte ‚Zeitmarke’. Das Verhältnis der Phantasie zur Zeit ist überhaupt sehr bedeutsam.“
So Sigmund Freud in seiner 1924 erschienenen Schrift „Psychoanalytische Studien an Werken der Dichtung und der Kunst“, ein maßgeblicher Hinweis auf die Interaktion zwischen der Phantasie des Künstlers und den Zeitläufen, die mit ihren sozialen und politischen Spannungen auf die Psyche des schöpferischen Menschen besonders nachhaltig wirken. Das lässt sich ablesen an der Entwicklung der Malerei von Ulrich Knispel. Als er 1947, gerade aus der Kriegsgefangenschaft kommend, an seine alte Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle zurückkehrte, wo er sogar 1950 den Kunstpreis von Sachsen Anhalt erhielt, standen seine Arbeiten noch ganz unter dem stilistischen Einfluss des deutschen Expressionismus. Der war zwar längst vorbei, doch er übte neben dem Bauhaus die einzige beherrschende Vorbildfunktion aus. [...]
Im Westen nun sah sich Ulrich Knispel einer ganz anderen Wirklichkeit gegenüber, mit der sich auseinanderzusetzen ihm als Herausforderung und reizvolle künstlerische Aufgabe erschien, eine von der Technik dominierte Realität, die er nicht nötig hatte, verbrämt zu werden, die dafür aber die Phantasie in unerhörter Weise beflügelte. Das Resultat jener Begegnung mit einer ganz anderen Formenwelt war eine in konsequenter Weise über Jahre hinweg durchgehaltene Veränderung seiner Bildwelt, die diese so unverwechselbar macht. Vor allem in den Berliner Jahren an der „Hochschule für bildende Künste“, an die man ihn berufen hatte, entstand sein eigenwilligen Profil, Bilder in jener erheiternden Mischung von manchmal etwas bissiger Ironie und Komik, die der abchasische Dichter Fasil Iskander den „ästhetischen Ausdruck von Freiheit“ genannt hat. Ironisierung der neuen Gegebenheit einer technisch beherrschenden Welt wurde zum Erkennungszeichen dieser Bilder, die von zwei Grundelementen als Erlebnisschicht getragen sind: Landschaft und Technik. Beides ist in erweitertem Sinne zu verstehen. Der Raum in diesen Bildern erinnert nur noch entfernt an eine Landschaft; manchmal zeigen sich wolkige Formen hinter weit entferntem Horizont, doch was sich vor ihnen auftut, ist alles andere als ein Naturidyll. Der Raum wirkt flach, eher wie ein Reliefraum, in dem sich wie auf einer schiefen Ebene eine beängstigende Fülle von Objektfragmenten dem Betrachter entgegendrängt. Alles scheint nach vorn zu rutschen, einer riesigen Müllhalde ähnlich, denn diese Objekte sind zwar unserer Konsumwelt entlehnt, dich auf eine merkwürdige Weise unbrauchbar gemacht, die Überbleibsel einer Wegwerfgesellschaft. Diese Fragmente lassen durch ihre raumgreifende Fülle keinen Platz für etwas anderes, von der Anwesenheit des Menschen ganz zu schweigen. Ihn wird man hier vorgeblich suchen. So übernehmen die toten Dingreste die Regie, sie inszenieren sich selbst wie auf einer gigantischen Bühne. Sie wirken keineswegs vertraut, sondern eher unheimlich, Furcht einflößend. Der Grund hierfür ist der überdimensionierte Maßstab. Sie füllen den Raum bis zur Bildgrenze aus, er wird zum Aktionsraum einer völlig autonomen Bildwelt. In aggressiver Weise und in schrillen Signalfarben rücken sie vor ihrer blanken Kälte technoider Perfektion, unaufhaltsam wie eine Lawine, um ihre Diktatur über den Menschen und dessen Welt zu installieren. Der „Aufstand der Dinge“ ist der Triumph des Rationalen, dessen Gebrauchswert niemand bestreiten wird, über den schönen Schein des Gefühls, wofür in einer technischen Welt kein Bedarf mehr besteht.
Erst bei näherem Zusehen wird deutlich, dass alle Objekte einer Formenfamilie entstammen, selbst jene, die nicht näher zu bestimmen sind. Da sind angeschnittene Früchte, Bonbons, Nudeln, die Tasten einer Registrierkasse, Knöpfe mit Zahlen, aus irgendeinem Apparat herausgebrochene Einzelteile, sinnlos und ihrer Funktion beraubt. Der Verfremdungseffekt wird vor allem durch die Härte des Materials erzeugt. [...]
Das alles sind rational kontrollierbare Einzelheiten, die aber das technische Zweckdenken – wenn es sich eben um Technik handeln würde! – ad absurdum führen, denn ein Zweck ist nicht erkennbar oder in sich selbst aufgehoben. Was hier vor dem Auge des Betrachters aufsteht, ist eine Welt poetischer Zwecklosigkeit. Und dem entspricht die äußere Erscheinung all dieser merkwürdigen Versatzstücke: eine erheiternde Farbigkeit, dann die durch offensichtliche Unbrauchbarkeit erzeugte Komik, die sich bis zur parodistischen Wirkung steigert. Die Bilder haben einen entscheidenden erzählerischen Grundcharakter, allerdings mit dem bereits erwähnten Zug ins Bedrohliche. Die Welt der Lochkarten, der Computertasten, der Zahlen und Systeme, der Tabellen und der Registrierkarten hat sich verselbständigt und ist zu dämonischer Größe gewachsen. Sie wäre angsteinflößend, wäre da nicht gleichzeitig der Faktor Ironie als neutralisierendes Element wirksam. Denn hier findet permanent „eine Darstellung durchs Gegenteil“ statt. „Diese heißt man aber Ironie“. (S. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.) Ständig erscheint das Gegenteil von dem, was wir erwarten: In der Realität weiche Objekte stellen sich dar in metallener Härte, Nudeln, Bonbons und Früchte werden zu Armaturen, zu eisernen Monstren; Kleines aus dem Alltag wächst ins Überdimensionale, sinnlos gewordene Versatzstücke besetzen eine unbetretbare Betonlandschaft. Und trotzdem sehen wir Bekanntes. Ein weiterer Reiz, der zu den Grundstrukturen des Witzes gehört, ist das Wiedererkennen von Objekten, die nun in der Perspektive des Phantastischen auftreten wie Akteure auf einer schräg hereinstürzen den Raumbühne. Die Lust am Wiedererkennen bildet nach Aristoteles eine Grundlage des Kunstgenusses. Sie verbindet sich hier mit Verblüffung, denn die offensichtliche Unbrauchbarkeit der fragmentarischen Objekte steht im Gegensatz zu der malerischen Akribie, mit der sie behandelt werden. „Was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht in diesem Falle der komische Prozess.“ (Th. Lipps) Der simple Gebrauchsgegenstand wird zum Fetisch in einem präzisen Durcheinander, einem durchorganisierten Chaos, worin jedes Formrelikt in übersteigertem Format seinen dinglichen Daseinsanspruch behauptet. So entsteht beim Betrachter das „magische Dingerlebnis“, das ganz in den Traditionskreis des Surrealismus gehört. Das als realistisch wahrgenommene Formdetail entspricht keiner Realität aus der Welt schon gemachter Erfahrungen. Seriell gestaffelte Teile haben ihren geistigen Ort zwar in der Technik, gehören ihr aber infolge des bildnerischen Umwandlungsprozesses nicht mehr an. Sie sind zur autonomen Bildrealität geworden, neu und unerschlossen und zugleich absurd, wie Einzelteile einer ehemals funktionierenden Maschinerie. Das ist keine gefundene Welt im Sinne der „objets trouvets“, sondern eine artifiziell arrangierte, mit Kalkül erstellte Kunstlandschaft, nicht vorgefunden, sondern erfunden.
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Curt Grützmacher
To mark the beginning of the 2018 season, PPC Philipp Pflug Contemporary is pleased to announce an exhibition of works by Ulrich Knispel. The exhibition ’Malerei und Grafik’ focuses on the period between 1968-1977, a phase which follows Knispels’ flight-like relocation from East to West Berlin and a stylistic shift from Expressionism towards Surrealism.
The technologically dominated atmosphere of West Berlin at the time had a significant influence on Knispel’s work. Uninhabited by human life, Knispel’s images investigate two very basic yet dominant themes - the landscape and technology. Often as absurdly staged scenes in an oversized scale, Knispels landscapes are littered with fragementary objects such as noodles, keys of a cash register, buttons with numbers and individual broken parts of apparatuses, all scattered throughout his compositions to give an acute sense of alienation and disproportionality. What Knispel explored through his landscapes was a world of poetic futility; a reflection on the remnants of a technologically advanced yet disposable society.
Sigmund Freud in his 1924 book "Psychoanalytical Studies on Works of Poetry and Art", outlined how the social and political tensions of a time could have a lasting effect on the artistic imagination and psyche. This is an appropriate perspective to adopt when looking at Ulrich Knispel’s artistic practice and the subsequent artistic developments following his relocation from East to West Germany. Upon his return in 1947 to his old art academy Burg Giebichenstein in Halle after being a prisoner of war, Knispel was still under the stylistic cloud of German Expressionism - a movement that although long over, remained a dominant role model at the time. [...] It wasn’t until upon arrival in West Germany that Knispel was confronted by a completely different reality, one dominated by what he considered to be futile and unnecessary technologies. Nevertheless these technologies were to become the main thematic interest for Knispel. It was as a result of his initial encounters in West Germany, and his subsequent years at the "Hochschule für Bildende Künste" in Berlin that his unconventional perspective really developed. Knispel had adopted an exhilarating mixture of biting irony and comedy, which the Abkhazian poet Fasil Iskander described as an "aesthetic expression of freedom".
Ironising the technically dominant world became the raison d'être of Knispels artistic vision. His images, reminiscent of landscapes, presented an often frightening abundance of objects and fragments pushing outwards against the viewer. As if on an inclined plane everything seems to slide forward, like a garbage dump filled with borrowed objects of a consumerist world. Knispel renders these objects unusable like remnants, debris or stand-ins of a intrinsically disposable society. Unstoppable like an avalanche, Knispels fragments leave no room for anything else, not to mention humans themselves. Installing their dictatorship over man and his world - Knispels’ world of technology represents an uprising in history, The "Uprising of Things“.