No Idiot
Artworks
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Es ist die alte Geschichte. Die Kerle sind wichtig, die Mädels gehören irgendwie dazu. Die jungen Männer heißen Musiker, sie bewegen sich an der Grenze zur Selbstaufgabe, wenn nicht gleich Selbstzerstörung. Die jungen Frauen, die sie umschwärmen, heißen Groupies. Das Ganze nennt sich dann Rock’n’Roll. Und es spielt irgendwo auf der Welt, in den Siebzigern. Aber geht diese alte Geschichte wirklich immer so? Mit Esther Friedman zu reden macht mit dieser unverwüstlichen Story nicht Schluss, wäre ja auch zu schade. Sondern es fügt ihr eine aufregende Facette hinzu. Denn Esther Friedman war damals mittendrin. Sie war es als teilnehmende Beobachterin, mit ihrer Spiegelreflexkamera, einer Leica R. Wir sind im Berlin der siebziger Jahre, dieser verwundeten, dauererregten Stadt. Esther Friedman war eine junge Frau, die ein bisschen aussah wie ein schöner Knabe, schmalhüftig, mit rabenschwarzen Augen. Und sie war ausgebildet als Fotografin.
Nicht, dass Esther Friedman davon heute Aufhebens machen würde, im Gegenteil. Aber sie ist eine sehr besondere Person, mit einem sehr speziellen Lebensweg. Und so ist es kein Wunder, dass sich ihre Wege damals in Berlin mit einem gewissen James Newell Osterberg aus den Vereinigten Staaten kreuzten, der gleichzeitig mit einem gewissen David Robert Jones aus Großbritannien dorthin gekommen war. Das Haus, in dem die jungen Männer wohnten – der eine in sieben Zimmern im Vorderhaus, der andere im Hinterhaus, wo Esther Friedman später einzog –, steht in der Hauptstraße 155 in Berlin-Schöneberg. Besser bekannt sind sie als Iggy Pop und David Bowie.
Doch woher kam Esther Friedman, bevor sie auf der Insel im geteilten Deutschland anlandete? Wenn sie heute erzählt, witzig und voller Selbstironie, lässt sie lässig den Anfang ihrer eigenen Lebensgeschichte weg. Sie wurde in Mannheim geboren, ihre Eltern waren Juden polnischer Abstammung, die Mutter aus Krakau, der Vater aus Warschau. Der Vater war in Auschwitz. Er konnte abhauen, sagt sie, ein paar Tage vor der Befreiung. Sie wischt das mit einer Handbewegung weg, gesprochen hat er nie mit ihr über diese Erfahrungen. Sie war noch ein Baby, als ihre Eltern mit ihr nach New York zogen. Als ihre Mutter starb, wurde sie zu deren Schwester, ihrer Tante, zurückgeschickt, nach Mannheim, einer damals unwirtlichen Stadt. Dort besuchte sie die amerikanische Schule. Nichts gelernt habe man da, sagt sie heute. Sie suchte ihren eigenen Weg. Mit ihrem Freund, einem angehenden Arzt, zog sie nach Berlin. Er ging dorthin, weil er nicht zur Bundeswehr wollte. Wer in den Siebzigern den Wehrdienst ablehnte, sah sich harten Befragungen ausgesetzt – nur vor Berlin machte der Bedarf der Bundeswehr halt.
Nun ist Esther Friedman also in dieser Stadt, wird Fotografin und erhält immer mal Aufträge, für die sie ein kleines Salär bekommt; es reicht zum Leben. Aber sie fotografiert auch auf den Straßen, sie macht sich ihre Bilder von der Stadt und ihren Menschen. Es gibt ein Foto, auf dem eine ältere Frau sehnsüchtig in die Kuchenauslage in einem Schaufenster blickt, wahrscheinlich in Charlottenburg oder Schöneberg, das damals noch ärmlich war. Die Mauer hat Esther Friedman kein einziges Mal fotografiert. Ich mochte die Mauer nicht, sagt sie schlicht, das war nicht das, was wir an Berlin mochten.
Sie taucht weiter ein in diese Welt, in der zwischen Kriegsruinen die alten Leute geblieben waren und sich eine ganze Sippschaft von Aussteigern, Freaks und Künstlern angesiedelt hatte. Bei einer inzwischen legendären Veranstaltung – einer Modenschau von Claudia Skoda, für die Martin Kippenberger den Boden mit Fotografien bepflasterte, zu denen Esther Friedman Bilder beisteuerte – lernt sie 1976 James Osterberg kennen. Sie und er, sie nennt ihn Jim, werden ein Liebespaar, für sieben Jahre. Das fängt so an, dass Iggy Pop sie als Fotografin für seine Tournee engagiert. Sie besteht auf einem eigenen Zimmer in den Hotels und darauf, angemessen bezahlt zu werden. Als Groupie steht Esther Friedman nicht zur Verfügung.
Nun gibt es eine Ausstellung mit Fotografien von ihr in der PPC Galerie in Frankfurt – darunter Bilder, die sie nie zuvor von den alten Kontaktbögen abgezogen hat. Wir sitzen in der Galerie und schauen die frischen Abzüge durch. Sie sind, mit und ohne Iggy Pop, ein Gang durch das Berlin vor dem Mauerfall. Da ist das umwerfende Foto, auf dem sie sich selbst inszeniert, in aller Herrgottsfrühe, bunt geschminkt in einem weißen Karmann Ghia vor den bröckelnden Säulen des Reichstags. Selbstauslöser, sagt sie, das haben wir öfter gemacht. Und es gibt zwei, drei Bilder von David Bowie, samtweich in Schwarzweiß. Auf den Fotos sieht er ein bisschen aus wie von einem anderen Stern, nicht wie Ziggy Stardust, eher wie ein fremder Engel. Bowie hat sie selten fotografiert. David war sehr delikat darin, sagt Esther Friedman. Obwohl sie mit ihm und Iggy Pop oft gemeinsam unterwegs war, gab es eine gewisse Distanz, Bowie hatte damals einen 600er Mercedes und einen Chauffeur. Er hat nicht nur die ersten beiden Platten seiner „Berlin-Trilogie“ aufgenommen, sondern auch Iggy Pops berühmte Alben „The Idiot“ und „Lust for Life“ produziert und zum Teil geschrieben.
Esther Friedman freut sich mit an den Bildern. Die Fotos sind Phantasiestücke – surreal manche oder purer Punk, melancholisch andere und eine Einladung zur Reise zurück in der Zeit. Und immer wieder James Osterberg, dieses Proto-Punk-Tier auf der Bühne als Iggy Pop. Esther Friedman kannte ihn auch als den Jim, in den sie verliebt war, mit dem sie lebte, solange es eben gut war. Sie ist Iggy Pops Chronistin, in einer Flut von Bildern. Ihnen entströmt ein Lebensgefühl, fast körperlich fühlbar bis heute.
Das Fotografieren wollte sie eigentlich lassen, für immer. Das hat sie noch vor zwei, drei Jahren gesagt. Nach ihrem Berliner Leben führte sie erfolgreich eine Galerie, zunächst in Heidelberg, dann in Frankfurt. Früh hat sie James Turrell ausgestellt, lange bevor er zum Kunststar wurde. Inzwischen berät sie einen Kreis von Sammlern in Sachen Kunst, und wer gern eine Arbeit von Turrell möchte, kann bei ihr nachfragen. Noch mal Fotografieren? Sie denkt darüber nach. Aber erst muss die Leica repariert werden, sagt Esther Friedman. Und es gibt auch jemanden in Frankfurt, der das kann.
Rose-Maria Gropp, FAZ Magazin Juli 2015.