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DAS ABENDROT DER AUFLÖSUNG[1]
„Schwarz ist die fundamentalste aller Farben. Ihr Reiz und ihre Vitalität rühren, wenn ich das so sagen darf, vor allem aus den tiefen, geheimen Quellen der Gesundheit... Man muss Schwarz einfach bewundern. Es kann durch nichts beeinträchtigt werden. Es schmeichelt weder dem Auge, noch regt es die Sinnlichkeit an. Es wirkt auf den Geist weit mehr als die schönen Farben der Palette oder des Prismas.“
Als Elias Canetti behauptete, dass „alles immer schneller wird, so dass man eigentlich mehr Zeit haben müsste, jedoch immer weniger Zeit bleibt“,[3] rührte er am Nerv einer Kultur, die ihr nahendes Ende fürchtet.
John Stezaker reflektiert in seinen Arbeiten ein Gefühl des drohenden Verlustes. Jedes seiner Bilder scheint sich wieder in das undifferenzierte Schwarz aufzulösen, aus dem es entstanden ist. Man hat den Eindruck, dass die weißen Siebdrucke sich auf einem schmalen Grad zwischen Entstehen und Verschwinden bewegen, als gefrorene Momente, von einem Lichtkegel angestrahlt. Obwohl der Welt von heute entlehnt, lässt sich eine Verbindung der Bilder zu ihr nur schwer nachweisen. Sie sind alten Handbüchern über das Leben in der Wildnis, Fotoromanen, Versandhauskatalogen, veralteten medizinischen Lehrbüchern und Kinderlexika entnommen und drohen selbst zu verschwinden. Das Bild eines ausgestopften Geiers scheint vor allem einen zugleich realen und imaginären Raum zu schaffen, als etwas, das - weil ausgestorben - nur noch als Bild weiterlebt. Durch die Technologie ist die Welt immer unmittelbarer, zur „Drucktasten“-Welt geworden, wobei die Geschwindigkeit sowohl das Bewusstsein der Entfernung als auch die Erinnerung auslöscht. Man könnte meinen, dass das von Stezaker präsentierte Schwarz nur in einer technologisch gesättigten Welt entstehen kann, wo Bildimpulse auftauchen, kollidieren und in Sekundenschnelle wieder verschwinden. Aber nahliegender ist die Vorstellung, dass das Schwarz den Raum der Romantik bezeichnet; die Nacht, den Tod, das Fremde. Als Phänomen verweist Schwarz auf einen Raum der Ungewissheit, auf schwebende Welten, die zum Träumen einladen.
DIE NATUR DES RAUMES. In vielen seiner Arbeiten aus den 1970er Jahren beschäftigte Stezaker sich mit der Funktion des Raumes innerhalb des Bildes, in dem er es in Fragmente aufteilte. Dieses Interesse an der Vervielfältigung der Sichtweisen ist heute nicht mehr erkennbar. In einer der Arbeiten setzt sich der Rand der Leinwand aus Holzbalken zusammen, die um einen leeren, mittigen Raum angeordnet sind. Es entsteht ein Spiel zwischen der Rahmenkante und dem abgebildeten Holzbalken. Aufgrund der festgesetzten räumlichen Regeln in der Modernen Malerei ist es unmöglich die Arbeit wörtlich zu verstehen und den Raum naturalistisch zu deuten. Deshalb kann die Arbeit weder eine figurative Realität noch eine abstrakte Realität annehmen. Stattdessen können wir nur die Kraft der Natur der Kultur gegenüberstellen, ohne dass eine einfache Lösung in Aussicht gestellt wird. [...]
DIE VERHAFTUNG. Stezakers Arbeiten sind insofern interessant, dass sie eine räumliche Spannung auslösen, die ursprünglich temporär zu sein scheint. Diese Spannung kommt besonders in den Arbeiten zum Ausdruck, in denen er Zerrbilder benutzt. Durch das Xerographie-Verfahren wird das Bild so manipuliert, dass die Reproduktion abwechselnd gedehnt oder zusammengedrückt erscheint. Die Realität der Reproduktion wird in dem Maße verändert, dass ein Bild entsteht, welches von der Quelle seiner Reproduktion getrennt zu sein scheint, und somit ein neuer Raum für das Bild geschaffen wird. Man hat den Eindruck, dass das Bild ausgerechnet den Raum erschreckt, den es besetzt.
DIE MASKE DER GLEICHGÜLTIGKEIT. Viele Jahre hindurch beschäftigte Stezaker sich mit der Maske und dem Vorgang des Sich-Maskierens. Indem zuerst die Köpfe von den Körpern (und ebenso die Körper von den Köpfen) abgetrennt wurden, entwarf er ein Bild für das entkörperlichte Stereotyp. Genau angeordnete oder in Reihen aufgestellte Köpfe starren durch oder aus schwarzen Räumen heraus und fangen dabei wie in einem Universum von Widerspiegelungen lediglich den Blick der anderen ein. Ein Albtraum wird beschworen, in dem der einzelne im anderen nur eine widergespiegelte Erscheinung seiner selbst entdeckt, eine Welt, in der die Unterscheidung des Selbst und der anderen ausgeschaltet ist.
Wir werden offensichtlich mit einer anderen, einer eingefrorenen Welt konfrontiert, in der, eingefangen im Moment zwischen Öffnen und Schließen des Auges, sich die Bilder am Rande der Erinnerung bewegen. Inmitten dieser sieben bis acht Leinwände an den Wänden seines Ateliers, das gleichzeitig auch Wohnraum ist, hatte ich oft das Gefühl, mich in einer imaginären Höhle zu befinden. Vielleicht hat diese imaginäre Assoziation die nachts entstanden Arbeiten beeinflusst. Gleichzeitig interessiert Stezaker sich für die tibetanische Thangka Malerei, die, auf schwarzem Grund, nur von einer Kerze beleuchtet, in den inneren Heiligtümern der Klöster ausgestellt wurde. In gewisser Weise fühlten sich die Assoziation der Höhle sowie die Klostermauern in die elektronische Hi-Tech Welten ein.
BILDER DER SCHÖPFUNG. Das Bild vom Baby wird bevorzugt verwendet, da es den Begriff der Schöpfung schlechthin verkörpert. Aus einer Zeitung für Säuglingspflege entnommen, vermittelt es eher einen bedrohlichen albtraumhaften, als den gewohnten beruhigenden Eindruck. Wir werden in eine verwirrende Unterwelt mit Wurzeln, Dornen, Monden, Blumen und Vasen geführt, in der sich eine Allegorie vor uns entfaltet, deren Symbolik nicht unbedingt verständlich ist. Der Gedanke an Geschichten liegt sicherlich nahe, die Verzerrung der Bilder lässt jedoch keine eindeutige Erzählung zu. Stezaker versucht, einen Raum zwischen Bedeutungserwartung und Bedeutungsverlust, infolge kultureller Erschöpfung, zu besetzen. Was wir für vertraut und alltäglich halten, verliert sich in obskuren Andeutungen und Bildern, die Vertraulichkeit suggerieren. Vielleicht gründet sich Stezakers konstantes Interesse an der Kunst des Symbolismus und am Kitsch auf die Anziehungskraft von Bildern, die Erzählungen liefern, deren Schlüssel zum Verständnis jedoch entweder nicht vorhanden oder verlorengegangen ist. [...]
LEERE ZEIT. Indem Stezaker das Thema Schöpfung aufgreift und ihm gleichzeitig das Gefühl einer Rückbesinnung zur Vergangenheit gegenüberstellt, das aus dem Empfinden von Verlust entspringt, schafft er es, diesen Moment einzufangen. Kulturelle Nostalgie, historische Wiederkehr und apokalyptische Spektakel sind und waren verständliche Reaktionen auf die Angst vor kulturellen Übergangszeiten, die wir gerade erleben. Vielleicht lieferte Blanchot uns den treffendsten Hinweis auf die von Stezaker gesuchten Realität, als er behauptete, dass „das Bild, gegenwärtig hinter jeder Sache - und in gewissem Sinne hinter der Auflösung der Sache sowie ihrem Fortbestehen in dieser Auflösung - hinter alledem jenen tiefen Todesschlaf in sich trägt, in dem wir vielleicht träumen.“[4] Diese Arbeiten vermitteln ein Gefühl, das viele verschiedene kulturelle Ursprünge berührt, ohne ausschließlich von Ihnen zu stammen.
In diesem Sinne kann man im Gegensatz zur anfänglichen Erscheinung von einer durchdringlichen Leichtigkeit sprechen. Die auflösende Kraft des Bildes eröffnet Räume, die nicht von temporärer Angst begrenzt sind. Die Tatsache, dass die Arbeiten auf so vielen Erscheinungen zu beruhen scheinen, verweist letztendlich auf das Bestreben, den Schranken zu entfliehen.
Jonathan Miles
Übersetzt ins Deutsche von Susanne Hofmann
[1] „Im Abendrot der Auflösung leuchtet alles im verführerischen Licht der Nostalgie, sogar die Guillotine.“ Milan Kundera. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.
[2] „Das graphische Werk von Odilon Redon“, Alfred Werner. Dover Publications, 1969.
[3] „Die Provinz des Menschen“, Elias Canetti, Andre Deutsch, 1985.
[4] „The space of literature“. Maurice Blanchot, übersetzt von Anne Smock. University of Nebraska Press.
THE SUNSET OF DISSOLUTION[1]
“Black is the most essential of all colors. Above all, if I may say so, it draws its excitement and vitality from deep and secret sources of health.. One must admire black. Nothing can debauch it. It does not please the eye and awakens no sensuality. It is the agent of the spirit far more than the fine color of the pallet or the prism.”
Odilon Redon[2]
When Elias Canetti said that “everything becomes faster so that there would be more time. But there is always less and less time,”[3] he touched a nerve ending of a culture fearful of its possible termination.
The most recent work of John Stezaker reflects a sensation informed by the threat of loss. Each and every image produced reflects possible disintegration back into an undifferentiated blackness from which they emerged. The white silkscreen images appear to balance on an edge of becoming and disappearing, frozen moments illuminated by a flash of light. There is a little before us that records an attachment to the here and now of the world despite the appropriated a region of the images. Culled from old manuels classifying wildlife, photo-roman magazines, trade catalogues, out-of-date medical textbooks and children's encyclopaedias, these images are themselves at the threshold of being lost. An image of a stuffed vulture that is now extinct seems especially pivotal in creating a co-existence space of the real and imaginary, something that lives on only as image.
Technology has made the world ever more immediate and “press button”, the speed of things and turn erasing both distance and memory. It is possible to speculate that the blackness that Stezaker presents is only possible in a technologically saturated world where image pulses appear, collide and disappear with a momentary flick of an eye. Much more apparent though is the illusion that blackness holds to the space of romanticism; the night, death and otherness, phenomenally the black indicates a space of suspension, or floating worlds that invite one to partake in reverie.
THE NATURE OF SPACE. Much of Stezaker`s work in the 70s was preoccupied with the functioning of space within the image in a manner that served to fragment the image. This concern for viewpoints and multiplicity is no longer evident. In one week the border of the canvas is composed of logs around an empty central space. A play is created between the edge of the frame and the image of the log. Yet it seems impossible to read the work literally and accepts the naturalist reading of space because of the pre-established references to spatial relations within modernist paintings. Thus the work neither feels figuratively real nor can it assume the reality of abstraction. Instead we are left to confront the pull of nature and culture itself, without the possibility of finding an easy resolution. [...]
THE ARREST. What makes Stezaker`s work of interest is that it manages to engage specially a tension that appears temporal in origin. The works using anamorphic images and embody this tension. The image is manipulated though its passage in the xeroxing process in a way that both extends and compresses the reproduced appearance in turn. The reality of reproduction is disturbed in such a way as to create an image that appears divorced from the source of its reproduction and hence to a new space is created for the image. To image seems to startle the very space it occupies.
MASK OF INDIFFERENCE. For many years Stezaker has been preoccupied with a mask and process of the masking itself. Firstly and cutting heads from bodies (and also bodies from hands) in image of disembodied stereotype was created. Formally arranged of or serialized heads gaze across or out of black space is capturing only the gaze of the other as though in a universe of mirrored reflections. A nightmare is evoked in which each individual discovers in the other only a reflected presence of themselves, a world in which the differentiation of the self and the other is eliminated. What is before us is so obviously of another world. A frozen world caught at the moment between opening and closure it is a world in which images float on the edge of memory. With as many or seven or eight canvases on his studio cum living space walls I have often had the sensation of being in an imaginary cave. Perhaps this imaginary association is a product of night-time work. Coincidentally, Stezaker has had an interest in the blackground Thangka painting of Tibet which were displayed in the inner sanctum of monasteries illuminated only by candle light. Somehow the association of the cave, and the monastery walls coexist with hi-tech electronic worlds.
IMAGES OF ORIGINATION. If the image of the baby has been a major preoccupation it is because of the literal connection with the notion of origination. Taken from a mothercare magazine this image assumes a disturbing and nightmarish quality rather than expected reassurance .Combined with roots, thorns,, moons flowers, and vases we are pulled into a disturbing underworld to witness and unfolding allegory without the symbolic certainty of understanding. Storytelling is certainty evoked but the shift of image creates no apparent narrative. Stezaker is attempting to utilize a space between anticipation of meaning and the loss of it through cultural exhaustion. What we find are familiar and everyday images in the state of becoming lost and obscure images obscure images suggesting familiarity. Perhaps Stezaker`s continued interest in Symbolist art and kitsch represents this pull of images where narratives are implied but the means of understanding of either absent or lost. [...]
EMPTY TIME. By both engaging origination and yet confronting the scent of “postness” that comes from the loss of feeling for it Stezaker is creating work peculiar to this moment. Cultural nostalgia, historical re-enactment and apocalyptic spectacle are and have been understandable reactions to the anxiety to the cultural transition we are experiencing. Perhaps Blanchot gives us the closest clue to do reality that Stezaker seeks when he said that the “image, present behind each thing and some sense the dissolution of that thing and its continuance and its continuance in its dissolution, also has behind it, that heavy sleep of death in which dreams might come to us.” [4]
There is a feeling in this new body of work that he touches many disparate culture sources without being solely of them. In this sense there is a pervasive lightness that contradicts the initial appearance. The dissolving power of the image opens spaces unrestricted by temporal anxiety. Ultimately the fact that we work might be perceived to be built upon so many paradox`s of appearance indicates an ambition to escape limit.
Jonathan Miles
[1] “In the sunset of the dissolution, everything is illuminated by the aura of nostalgia, even the guillotine.” Milan Kundera. The Unbearable Lightness of Being.
[2] “The Graphic Work of Odilon Redon”quoted by Alfred Werner. Dover publications 1969.
[3] “The Human Province” Elias Canetti. Andre Deutsch 1985.
[4] “The Space of Literature”. Maurice Blanchot, translated by Anne Smock. Univeristy of Nebraska Press.