ECHO RETURN
Artworks
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BÄNG - KRACH - ZISCHSCHSCHSCHSCH – die Skulptur wird für kurze Zeit lebendig – erst durch das Verglühen der letzten Feuerwerkskörper erdet sich die Raum-erobernden und alle Sinne ergreifenden Zeichnungen Sandra Kranichs.
Dominant im Raum verweisen die symmetrischen positiv/ negativ gespiegelten Aluminiumreliefs, deren Form und Oberfläche durch die individuelle Bearbeitung durch Licht (Laser: light amplification by stimulated emission of radiation) und einem anschließenden Schleifverfahren mit (erd-)steinerner Körnung auf den thematischen und formalen Inhalt der Zeichnung: Zu Beginn dieses Jahres kam eine Forschergruppe um John Kovac (Harvard) dem Urknall vor 14 Milliarden Jahren ein wenig mehr auf die Spur, sein Echo in Form von Mikrowellenstrahlung wurde mit Hilfe des Teleskops Bicep2 am Südpol eingefangen – eine unvorstellbare Vorstellung: der Rückblick zum Beginn der Zeit – Echo Return. „No return“ dagegen sieht das privat kommerzielle Unternehmen MARS ONE vor, das bis 2023 eine Marsbasis errichten möchte, basierend auf der Voraussetzung, dass die Astronauten niemals zur Erde zurückkehren werden. Für die ersten vier zu rekrutierenden Astronauten haben sich über 50.000 mal mehr Menschen als die tatsächlich benötigten beworben – Faszination für die Reise ins All, Sandra Kranich wäre sicherlich einer von Ihnen.
Zurück zu den reflektierenden Objekten: sie bilden die Abschussrampe des von der ausgebildeten Pyrotechnikerin bis ins Detail choreografierten Feuerwerks, dabei setzt Sandra Kranich gezielt die Farbe und Effekte der einzelnen Feuerwerkskörper für die Narration ihrer Lichtzeichnung ein. Durch die sprühend, leuchtenden farbigen und präzise abgestimmten Raketenabschüsse wird die Zweidimensionalität der Zeichnung stereometrisch visualisiert, um sich schließlich als Schmauch unvorhersehbarer Effekte zu manifestieren. In einem kurzen spektakulären Augenblick werden dessen Spuren als Pfad für die Ewigkeit eingebrannt, unvergesslich für denjenigen, der es life erleben darf. Explosion, Zerstörung, Kreation – konzentriert und konserviert – vervollständigen diese stereometrischen Zeichnungen von Energie, Kraft und Zeit, erzählen aber auch ganz konkret von der Gefahr und dem Arbeitsaufwand der traditionsreichen Feuerwerkskunst.
Mit Beginn 16.Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution finden die grandiosen Barock-Feuerwerksschauspiele als Feuer-, Licht- und Flammentheater im festlichen Rahmen mit literarisch-allegorischem „Storyboard“ oder als architektonisch plastische Darbietung statt. Monatelanger Aufbau der grandiosen Inszenierungen biblischer Inhalte, aber vor allem auch die Nachstellung von Schlachten und Eroberungen sowie Götter und Heldengeschichten geht den abendfüllenden Spektakeln voran. Ihr Aufbau, Materialaufwand und Choreografie sind akribisch notiert und in Kupferstichkabinetten und Archiven mehr oder minder exakt erhalten. Ein Riesenkapitel in der Kunstgeschichte, das hier nur angerissen werden kann, waren es doch die bekanntesten Künstler und Architekten ihrer Zeit, die sich für diese ephemeren Aufbauten und Festmaschinen einer Wegwerfkunst maßgeblich ereiferten. Während bereits mit der Aufklärung die pyrotechnischen Darbietungen sich mehr und mehr in Richtung imposanter „Lightshows“ und weg von den allegorisch-dramatischen Darbietungen entwickelten, beschreibt Adorno in seiner „Ästhetischen Theorie“ das Feuerwerk schließlich als Allegorie der Kunst schlechthin, als ein Gegenstück der von Rationalisierung und Entzauberung geprägten Welt des modernen Menschen – unvergesslich die Synchronie der Betrachter in ihrem onomatopoetisch verzücktem „Ahhh“ und „Ohhh“.
Die Rakete (ital. rocchetta ‚Spindel’) ist ein Flugkörper mit Rückstoß. Der Raketenantrieb, dessen Beschleunigung unabhängig von externer Sauerstoffzufuhr funktioniert, war die frühe Entdeckung der alchemistischen Feuerwerksküchen und eine grundlegende Voraussetzung für die Ausweitung des menschlichen Horizontes in die unendliche Weite. Sandra Kranich eröffnet mit ihrem Feuerwerk den Blick von der zweidimensionalen reduzierten Zeichnung auf dem Blatt über die Dreidimensionalität der Skulptur in geometrische und stereometrische Architekturen des Himmels, des Alls. Ihr zeichnerisches Werk erweitert das Ausdruckspotential des Mediums durch die vollständige Überschreitung der Gattungsgrenze in unbekannte räumliche, akkustische und visuelle Dimensionen des Raums, sie nimmt uns mit auf ihre faszinierende Reise: „der Weltraum: unendliche Weiten.... Wuschschsch....“
Elke Gruhn M.A., Künstlerische Leitung, Kuratorin, Nassauischer Kunstverein Wiesbaden